Dienstag, 4. Dezember 2007

Dezember

Von all dem Grün
in meinem Garten
blieben die Misteln




Neujahrsnacht-
Polizisten bewachen
die Synagoge



U-Bahn Berlin-
nach jedem Halt
neue Sprachen



Dienstag, 23. Oktober 2007

Herbsthaiku


Allein gewandert.
Am Abend der fremde Klang
meiner Stimme



Durch die Laubhaufen-
der Wimpel am Kinderrad
flattert hin und her



Heimkehr-
das Haus meiner Eltern
ist kleiner geworden



Erster Kuss-
der Herbstmond
groß wie nie





Montag, 30. Juli 2007

Sommerhaiku

Eine Auswahl meiner Haiku zum Sommer:


Sommerregen-
reglos die Spinne
im tanzenden Netz



Sommerregen-
accelerando spielt man
den Hochzeitsmarsch



Geruch nach Grillwurst-
im Schrebergarten hängt schlaff
die Deutschlandfahne



am FKK-Strand
dem Hausarzt begegnet –
ein steifes Lächeln



eine Wespe
ich öffne die Fenster weit
zwei Wespen



Kurze Sommernacht-
ein Haar auf meinem Kissen
ist mir geblieben





Mittwoch, 13. Juni 2007

Im Dom

Im Dom die Kühle-
Gesichter
der Märtyrer




Warten

Wartesaal-
die Fliegen
und die Zeit
totschlagen


Wartesaal-
die Fliegen und die Zeit
vertreiben




Dienstag, 12. Juni 2007

Werkstatt: Schnecken-Variationen

Schlaflos diese Nacht
gewandert - so sieht es aus -
eine Schnecke

Heute früh zu sehen:
Die Wege der ganzen Nacht -
eine Schnecke

Tan Taigi (1709-1771)


Diese Haiku sind in der sehr empfehlenswerten Sammlung von Ekkehard May: CHÛKÔ - Die neue Blüte, Dieterich´sche Verlagsbuchhandlung, erschienen. Sie haben mich veranlasst, Variationen zum Thema zu schreiben. Zumal ich die Schneckenspuren jeden Morgen vor der Haustür sehe. Da aber die Schnecken auch erheblichen Schaden im Garten anrichten, assoziierte ich nicht nur die Schleimspuren, sondern auch die Fraßspuren der Schnecken.




Vor der Eingangstür
die ganze Nacht unterwegs-
Schnecken



Die Räuberbande
hinterließ Spuren -
Schnecken im Garten



Räuber in der Nacht
hinterlassen ihre Spur -
Schnecken im Garten



Nächtlicher Diebe Spur - Schnecken

Spuren nächtlicher Räuber - Schnecken


Diese letzten Varianten mögen irritieren. Ich stelle sie mir als mit raschen Tuschelinien gemalt vor. Das Schriftbild imitiert die Schleimspur der Schnecke. Dazu das Bild einer Schnecke an einem Blütenblatt.

Japanische Haiku sind nicht in drei Reihen untereinander geschrieben, sondern in einem Satz. Die japanischen Laute entsprechen auch nicht unseren Silben. Ein deutschsprachiges Haiku müsste demnach eher weniger als 17 Silben lang sein. Das starre Festhalten am 17-Silben-Schema beruht eigentlich auf einem Missverständnis. Letztendlich ist der mit den Mitteln der Sprache erzielte Ausdruck entscheidend. Die Schönheit eines Verses ist nicht von der Silbenzahl abhängig. Wer das Haiku zuerst auf seine angebliche Korrektheit überprüft und die Silben nachzählt, versperrt sich selbst den Zugang zur Schönheit der Sprache. Achten Sie auf den Klang, den Rhythmus, die Melodie, die Bilder, die in Ihnen entstehen, wenn Sie ein Haiku lesen.





Donnerstag, 7. Juni 2007

Erdbeerpflückerin



Beim Erdbeerpflücken
verstohlener Blick
nach einem Ring





Hochzeit

Ein Paar umschlungen-
vom wolkenlosen Himmel
regnet es Reis



Donnerstag, 31. Mai 2007

Mai Rückblick




Nach der Therapie

den Wald durchs Fenster lassen


Warmer Wind-
Blütenwolle schwebt
über den Parkplatz


Ameisen kämpfen-
behutsam setze ich
meine Schritte


Erste Rasur-
Im Spiegel Vaters Gesicht



Sonntag, 29. April 2007

Mauersegler

Wir sitzen auf dem Balkon und blicken in die umliegenden Gärten. Die Glocken der nahen Kirche läuten eindringlich. Sie verhallen und jetzt klingt es von der benachbarten Kirche her. Der Blick geht zum Kirchturm. Da sehen wir die Mauersegler. Sie müssen heute oder in der letzten Nacht zurückgekehrt sein.


Glockenläuten -
zur Feier der Wiederkehr
der Mauersegler



Gestern: Treffen des Frankfurter Haikukreises. Ein launiger Vortrag von Thomas Hemstege zum Thema "Fressen und gefressen werden" mit Kostproben der japanischen Küche. Anschließend bekommen die Teilnehmer die Aufgabe gestellt, Haiku zu schreiben, in denen sich Geruch und Geschmack verbinden. Hier mein Ertrag:



Spargelessen
und die Erinnerung
a
uf der Toilette


Der Wein
riecht besser als er schmeckt-
bis zur dritten Flasche


Gartenlokal -
berauscht vom Wein und den
Glyzinien


Mutters Duft
beim Öffnen des letzten
Glases Latwerge



Mittwoch, 25. April 2007

Vogel Zizibäh




Vogel Zizibäh -
Gedanken an das Glück
der Kindertage




Sonntag, 22. April 2007

Sonnenbrand

Sommerlicher Apriltag. Die Vogelmännchen (Vogelmenschen) beeindrucken ihre Weibchen und bekämpfen ihre Nebenbuhler: durch Gesang. Die Vögel, die ja von den Dinosauriern abstammen sollen, sind evolutionär weit entwickelt.


Kühler Morgen-
in meinen Traum mischen sich
Vogelstimmen


Im Freien lesen-
erster Sonnenbrand
im Nacken



Donnerstag, 19. April 2007

Aprilwetter

Außen: Die Konjunktur zieht an. Minimalkompromiss im Kampf gegen Rassismus. Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten einigen sich darauf, dass Hakenkreuze außerhalb Deutschlands an die Häuserwände gemalt werden dürfen. Meinungsfreiheit.


Innen: Ein normaler Arbeitstag. Ein Psychosekranker, der früher nie behandlungseinsichtig war, geht freiwillig auf die geschlossene Station. Seine Knochenmetastasen haben ihn sanft werden lassen. Er hat höllische Schmerzen.

Die meisten meiner Patienten sind arbeitslos.


Aprilschauer-
im Flur des Arbeitsamts
herrscht Schweigen


Mittwoch, 18. April 2007

Terror

Außen: Terror-Tag: Anschläge in Bagdad. Schäuble will die Unschuldsvermutung abschaffen und Folter erlauben. Wer sind die Feinde der Verfassung?

Innen: Visite in Haftanstalt. Die Gefangenen füttern gerne die Tauben. Sie werfen ganze Brotscheiben durch die vergitterten Fenster. Nachts kommen die Ratten, um sich an den Resten zu bedienen.



Brot für die Tauben-
beim Verlassen der Anstalt
begleiten sie mich